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Multi-Channel-Strategien im stationären Einzelhandel

Andreas Stolz
18 June 2013

Wie verändert das Internet die Gewohnheiten und das generelle Einkaufsverhalten der Konsumenten? Welchen Herausforderungen stehen Unternehmen durch die zunehmende Digitalisierung gegenüber? Und wie reagieren Sie darauf? Diese wie auch weitere Fragen möchte ich in dem folgenden Blog-Artikel beantworten. Und denjenigen, denen dies noch nicht genug ist und noch mehr wissen wollen, kann ich am Ende dieses Artikels eine Fortsetzung bzw. Weiterführung des Themas empfehlen.

Der Einzelhandel in der Krise.

Media-Saturn bleibt Lösung schuldig.

Aufgrund des harten Winters und des vielen Schnees kaufen die Menschen lieber von zu Hause ein.

So oder so ähnlich lauteten die Schlagzeilen 2011 in der deutschen Presse über den Einzelhandel in Deutschland. Sie zeigen sehr eindrucksvoll und plakativ, die schwierige Lage des deutschen stationären Handels, der Form des Handels also, die auf physischen Geschäften basiert. Speziell traditionsreiche und in der Vergangenheit sehr erfolgreiche Unternehmen sehen sich mittlerweile einer mächtigen Internet-Konkurrenz gegenüber und begegnen bis dato nur mit mäßig funktionierenden bis kaum vorhandenen Online-Strategien den veränderten Gegebenheiten.

The winners will be those that view the Internet as a complement to, not acannibal of, traditional way of competing.

Michael E. Porter, 2001

Dieses Zitat von Michael Porter, Wirtschaftsprofessor an der Harvard Business School, aus dem Jahre 2001 und entstanden unter den damaligen Eindrücken der geplatzten Dotcom-Blase, liefert neben einer Aufforderung zum Handeln zugleich auch eine Begründung für die Zurückhaltung vieler Unternehmen. Lange Zeit haben deutsche Einzelhändler wie beispielsweise Saturn, Media Markt, Obi oder Rewe das Internet mehr als Bedrohung empfunden, als die Potentiale und Chancen auszuschöpfen. An dem Geschäftsmodell aus lokalen, physischen Geschäften wurde nachwievor festgehalten, ohne jedoch den digitalen Verkauf über das Internet nachhaltig in die allgemeine Strategie einzubetten und entsprechende Strategien zu entwickeln.

Ausländische Unternehmen in Europa sowie Amerika haben bereits vor Jahren vorgemacht, wie man den veränderten Anforderungen, die das Internet und die Digitalisierung mit sich bringt, erfolgreich begegnet: Die Einzelhändler Tesco (Großbritannien) oder Auchan (Großbritannien und Frankreich) beispielsweise bieten neben ihren traditionellen lokalen Märkten verschiedene Arten der Verknüpfung bzw. Kombination einer digitalen Verkaufsplattform im Internet an. Das Bestellen von Lebensmitteln sowie weiterer Konsumgüter im Internet kombiniert mit einer wahlweisen Abholmöglichkeit oder eines Lieferservices hat sich zum festen Bestandteil der Einkaufsgewohnheiten der Kunden von Tesco, Auchan oder Walmart (USA) entwickelt.

In Deutschland suchte man bis vor wenigen Jahren vergeblich nach vergleichbaren Modellen bzw. Strategien. Mittlerweile erfährt die als “Multi-Channel-Handel“ bezeichnete hybride Struktur aus stationärem Einzelhandel, sprich lokalen Geschäften oder Märkten und elektronischem Handel im Internet, dem sog. E-Commerce – im Englischen unter den Begriffen “Clicks-And-Mortar” oder “Bricks-And-Clicks” zusammengefasst – auch hierzulande eine zunehmende Relevanz und Popularität. Eine weitere Komponente, durch die das Thema zusätzliche Dynamik erfährt, ist die ansteigende Verbreitung mobiler Endgeräte wie Smartphones oder Tablets und der daraus resultierende Mobile Commerce (kurz: M-Commerce).

Bislang mangelte es an funktionierenden Strategien für den Einbezug des Internets in die allgemeine Unternehmensstrategie. Erst im Zuge größerer Umsatzrückgänge im stationären Handel sowie dem Verlust von Marktanteilen zugunsten der Internetkonkurrenz entwickelten sich erste Multi-Channel-Strategien im deutschen stationären Einzelhandel. Zuvor hat u. A. die Angst vor einer möglichen Kannibalisierung des klassischen Geschäfts durch den eignen Internethandel viele Unternehmen gelähmt. Risiken und Potentiale wurden falsch beurteilt. Zudem fehlten den Unternehmen wichtige Ressourcen (z.B. Knowhow, Investitionskapital) um ein geeignetes Zusammenspiel der einzelnen Verkaufskanäle zu organisieren und erfolgreich zu implementieren.

Die Herausforderung, welcher begegnet werden muss, lautet: Synergien schaffen bei gleichzeitiger Vermeidung negativer Effekte auf das klassische Geschäft. Vertrauen und Kunden (zurück)gewinnen. Markenimage stärken. Umsatzrückgänge stoppen. Der Grad zwischen Erfolg und Misserfolg ist dabei sehr schmal: So kann ein zusätzlicher Verkaufskanal im Internet bei unzureichender Erfüllung von Konsumentenbedürfnissen schnell Vertrauen und Image zerstören. Eine nicht-konsistente Preispolitik über die Verkaufskanäle hinweg zu erheblichen Kanalkonflikten, auch innerhalb des Unternehmens, zwischen einzelnen Abteilungen oder Mitarbeitern, führen. Es kommt deshalb darauf an, wie die Multi-Channel-Strategie ausgestaltet ist und sich den unternehmensspezifischen Anforderungen anpasst.

Bei einer umfassenden Betrachtung des deutschen Einzelhandels lassen sich im Verlauf der letzten drei Jahre verschiedene Multi-Channel-Strategien und somit Wege in den Multi-Channel-Handel beobachten. Im Folgenden werden drei Strategien inklusive Praxisbeispielen vorgestellt und erläutert:

Die Eigenständige – aus eigener Kraft heraus.

Rewe entwickelte sukzessive in Eigenregie eine Multi-Channel-Strategie, die sich lokal über verschiedene Testprojekte (z.B. in Köln) immer stärker deutschlandweit ausbreitet. Diese bietet eine Kombination aus dem Verkauf seines Sortiments im Internet und den Optionen einer Selbstabholung vor Ort (REWE Abholservice) oder eines Lieferservices (REWE ONLINE). Die Strategie bzw. das Modell orientiert sich dabei sehr stark an dem des britischen Einzelhändlers Tesco (Tesco direct), welcher schon seit einigen Jahren erfolgreich eine Multi-Channel-Strategie verfolgt.

Die Übernahme  – zusammen sind wir stark.

Mit der Unternehmensübernahme des erfolgreichen Internethändlers Redcoon im Frühjahr 2011 beabsichtigte die Media-Saturn-Unternehmensgruppe, zu denen u. A. die Elektronikfachmärkte Saturn und Media-Markt gehören, einen wichtigen Schritt hin zu einem für die Konsumenten relevanten Multi-Channel-Händler in Deutschland zu vollziehen. So sollte entscheidendes Knowhow sowie Infrastruktur für die Etablierung einer eigenen Online-Verkaufsplattform unter saturn.de bzw. media-markt.de erlangt werden. redcoon.de existiert jedoch nachwievor parallel zu den anderen Plattform. Erst kürzlich erwarb die Media-Saturn-Holding die restlichen Unternehmensanteile (vorher 90%) von Gründer Rainer Heckel, dem Gründer des Online-Händlers Redcoon.

Die Fremdhilfe – lieber die Spezialisten machen lassen.

Im Rahmen dieser Strategie bieten sogenannte „Fulfillment Dienstleister“ bzw. „Outsourcing-Dienstleister“ (z.B. arvato) auf Wunsch einzelne Serviceleistungen (z.B. Logistik, Kundenservice, etc.) bis hin zu einer kompletten Abwicklung des Online-Geschäfts. Die hessische Supermarktkette tegut,- (insg.: 309 stationäre Filialen in Deutschland) lässt beispielsweise den gesamten Online-Prozess von dem spezialisierten Online-Lebensmittelhändler gourmondo.de abwickeln. Dieser besitzt sowohl das nötige Knowhow, die Erfahrung sowie logistischen Prozesse, die ein reibungsloser und zeitkritischer Verkauf von Produkten im Internet erfordert. Unter tegut-genusswelt.de stehen den Konsumenten über 6.000 Artikel aus dem gewohnten Sortiment aus dem Supermärkten zur Verfügung. Die Drogeriemarktkette dm vertreibt ebenfalls im Rahmen eines exklusiven Vertrags mit Amazon derzeit ca. 1.700 Artikel aus seinem stationären Handelsmarken-Sortiment über das Internet (Hier der Link).

Somit lassen sich verschiedene Dimensionen zwischen den einzelnen Multi-Channel-Strategien identifizieren. So existiert beispielsweise ein unterschiedlicher Grad der Koordination zwischen den einzelnen Verkaufskanälen. Die Spanne reicht von einer vollständigen Integration bis hin zu einer vollständigen Separation des Internetkanals mit dem bestehenden stationären Kanal. Zwischen diesen Extremformen gibt es eine Reihe verschiedener Ausprägungen von Strategien. Das Zusammenspiel weiterer Strategie-Dimensionen wie Naming, Corporate Design sowie der Konsistenz und Komplementarität der Preis- und Kommunikationspolitik beeinflusst die Akzeptanz und den Erfolg einer Multi-Channel-Strategie.

Das Buch von Andreas zum Thema ist im Mai 2013 im diplomica Verlag erschienen und bei Amazon erhältlich… (Womit sich der Kreis schließt…)

Darüber hinaus kann das Buch auch als elektronische Variante (E-Book) (http://www.amazon.de/dp/365636012X/ref=rdr_ext_tmb) erworben werden.

Andreas Stolz
Multi-Channel-Strategien im stationären Einzelhandel.
Wie das Internet den Handel verändert.
Hamburg: Diplomica, 2013